«Die Endo hat mir meine Unbeschwertheit genommen»
Schmerzen, Entzündungen, Ungewissheit - 1 von 10 Menstruierenden leiden an der chronischen Unterleibserkrankung Endometriose. Doch obwohl die Krankheit so häufig auftritt, wird über das Thema geschwiegen. Im Interview erzählt eine Betroffene* ihre Geschichte. von Magali Egger

(Weitere Informationen zu Endometriose hier)​​​​​​​
Wie und wann hast du gemerkt, dass etwas mit deiner Menstruation nicht richtig ist?
Meine ersten Symptome bekam ich mit etwa 12 Jahren. Damals dachte ich, es sei normal, viele Lebensmittel nicht zu vertragen. Mit der Zeit wurden diese Unverträglichkeiten immer häufiger. Aber ich hätte das niemals mit meiner Periode in Verbindung gebracht. Mit 16 wurde es schlimmer. Irgendwann ging es mir so schlecht, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Man machte Hunderte Test, aber fand keine Ursachen. Es ging so weit, dass sie mir den Blinddarm rausnehmen wollten. Wahrscheinlich dachten sie, sobald der Blinddarm weg ist, ist alles wieder gut.   ​​​​​​​
Was sind deine Symptome?
Am stärksten sind die Lebensmittelunverträglichkeiten, die extrem starken Unterleibsschmerzen und ein seltsames Gefühl im Bauch. Es fühlt sich an, als ob du in 5 Minuten eine Abschlussprüfung hast und nervös bist. Du hast leichte Bauchschmerzen vor Nervosität. Genau dieses Gefühl habe ich, aber ohne eine Prüfung zu haben. Dazu kamen Haarausfall, unreine Haut, Zyklusschwankungen, Stimmungsschwankungen und Konzentrationsschwäche. Ausserdem entwickelte ich eine chronische Gastritis, ausgelöst durch die vielen Schmerzmedikamente. Es ist schwierig zu sagen, was wirklich von der Endometriose kommt. Ich lebe schon so lange mit diesen Symptomen und irgendwann sind sie so normal, dass ich sie ausblende.

1 von 10 Menstruierende leiden an Endometriose. Bis zu einer Diagnose kann es bis zu 10 Jahre gehen.

Wann hast du die Diagnose «Endometriose» erhalten?
9 Jahre lang rannte ich von Arzt zu Arzt. Keiner konnte mir sagen, was mit mir nicht stimmt. Lange hatte man mir gesagt, dass ich komplett gesund sei. In dieser Zeit vertrug ich so viele Lebensmittel nicht, kippte fast jeden Monat um vor Schmerzen und musste mich übergeben. Das ging so weit, dass ich teilweise nicht mehr arbeiten gehen konnte. Von meinem Hausarzt bekam ich nicht die Unterstützung, die ich gebraucht hätte. Erst als ich mich selbst nach Jahren zu einer Spezialistin überweisen liess, fühlte ich mich ernst genommen. Meine definitive Diagnose habe ich erst Ende letzten Jahres erhalten.​​​​​​​
9 Jahre sind eine lange Zeit. Was meinst du damit, dass du von deinem Hausarzt nicht die Unterstützung bekommen hast, die du gebraucht hättest?
Ich bin immer wieder zu meinem Hausarzt gegangen und habe ihm meine Symptome geschildert. Meine extremen Periodenschmerzen bezeichnete er als normal. Immer wieder verlangte ich ein grosses Blutbild, weil ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Ich weiss noch, wie er mich ansah und fragte: «Ja Frau XXX* sind sie denn nicht gesund?» Ja, offensichtlich nicht! Er machte widerwillig die Blutentnahme. Ich musste ihn trotzdem darauf hinweisen, dass er die Werte genau anschauen sollte. Er gab mir das Gefühl, als hätte er mich in die «Simulierer-Schublade» gesteckt. Er wertete einige Dinge aus, aber diese waren unauffällig. Er meine deshalb, es muss eine psychische Ursache haben und überwies mich zur Psychotherapeutin.
Aus Verzweiflung heraus begann ich alles zu supplementieren, was ich nur konnte: Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsergänzungsmittel – einfach alles. Ich wollte mir selbst irgendwie helfen und schoss damit übers Ziel hinaus. Bei einer nächsten Blutentnahme bemerkte mein Arzt, dass mein Vitamin D Wert zu hoch war. Er fragte mich wütend, wieso ich Vitamin D nehmen würde. Alle meine Symptome kämen sicherlich davon. Da er in letzter Zeit anscheinend ein paar «fitnesssüchtige» Patient*innen mit ähnlich hohen Vitamin-D-Werten hatte, interpretierte er dies als Fitnesstick und stempelte mich dieses Mal als «crazy Fitnessgirl» ab.
Hast du danach deinen Arzt gewechselt?
Nein, ich habe meinen Arzt nicht gewechselt, weil ich über das «Telmed System» versichert bin und ihn nicht zwingend brauche, um an eine Spezialistin überwiesen zu werden. So liess ich mich von einer Fachperson des Telmed Systems an eine Gastroenterologin überweisen in der Hoffnung, dass sie mein Problem finden würde. Auch bei der Darmspiegelung fand man nichts, weshalb sie mich schliesslich an eine Gynäkologin weiterwies. Trotz Ultraschall (bei der Gynäkologin) blieb die Endometriose jedoch unentdeckt. Das ist das «heimtückische» an der Endometriose. Man erkennt sie nicht zwingend auf einem Ultraschallbild. Mein Bauchgefühl sagte mir aber, dass es Endometriose sein muss. Ich hatte zuvor einige Artikel dazu gelesen. Die Symptome passten so gut zu dieser Krankheit. Durch ein MRI im Krankenhaus wurde mein Bauchgefühl bestätigt. Jede Stelle, an der ich Schmerzen hatte, war voll mit Endometrioseherden. Als nächster Schritt muss ich mich operieren lassen, weil die Endometriose sich in meine Darmwand, Eierstöcke, das Gewebe um die Eierstöcke, das Bauchfell und andere Stellen gefressen hat.
Was waren deine ersten Gedanken, nachdem du die Diagnose erhalten hast? 
Einerseits war ich unglaublich erleichtert, endlich die Ursache für all das zu haben und zu wissen, dass ich es mir nicht nur eingebildet hatte. Irgendwann kam ich an einen Punkt, wo ich zusammengekrümmt im Bett lag und mich fragte, ob ich simuliere. Die Diagnose gab mir Sicherheit, dass das nicht so ist. Andererseits dachte ich mir so «Scheiss, ich habe eine unheilbare Krankheit.»

Die Schmerzen der Betroffene* wurden jedes Jahr schlimmer. Trotzdem konnte lange keine Ursache für ihr Leiden gefunden werden. 

Nachdem die definitive Diagnose feststand, wie ging es weiter?
Meine Gynäkologin verschrieb mir ein Hormonpräparat. Eine Gestagenpille, die speziell für Endometriose verschrieben wird. Aber weil ich die Antibabypille schon nicht vertragen hatte, weigerte ich mich lange sie zu nehmen. Nach einer Weile entschied ich mich aber doch dafür und ich muss sagen, für mich ist sie genial. Ich habe fast keine Nebenwirkungen und meine Periode bekomme ich auch nicht mehr. Nur manchmal spüre ich, wenn ich eigentlich gerade meine Menstruation haben sollte, aber damit kann ich leben.
Mein Energielevel stieg wie verrückt an. Es kommt mir vor, als hätte ich für immer Ferien. Ich fühle mich so frei wie schon lange nicht mehr. Vor dieser Pille konnte ich fast nichts planen. Ich musste immer alles um meine Periode herum arrangieren. Sich mit Freunden zu treffen, wurde so fast unmöglich. Das blöde an dem Präparat ist, dass es keine Langzeitstudien zu gibt. Für mich ist es aber trotzdem ein Wundermittel.​​​​​​​
Wie reagierte dein Umfeld auf deine Krankheit?
Zuerst waren viele sehr verständnisvoll. Gerade mit all meinen Unverträglichkeiten waren Dinge wie zusammen essen gehen extrem aufwändig. Nach einer gewissen Zeit wurde das zur Last. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Die Situation war für alle sehr mühsam. Vor allem wenn noch keine Diagnose vorliegt, die dein Verhalten irgendwie rechtfertigen kann. Nachdem die Diagnose feststand, hatte ich einen festen Begriff für alles. Für einige war das einfacher zu verstehen. Auch wenn sie nicht wussten, was genau diese «Endometriose» ist, war meine Krankheit jetzt greifbar für sie. Ich muss aber zugeben, viele aus meinem Umfeld wissen noch nichts über meine Endometriose. Es ist ein sehr intimes Thema, über das ich nicht mit jedem reden will. Ich habe mich über die gesamte Zeit auch immer mehr zurückgezogen.
Du hast dich zurückgezogen. Konntest du Veränderungen an deiner mentalen Gesundheit feststellen?
Ich habe mich isoliert. Ich wollte nicht jedem mit dem Thema auf den Geist gehen. Egal wie oft du dich über deine Schmerzen und Probleme bei jemandem ausheulst, sie können auch nicht rausfinden, was du hast. Sie können nur sagen, dass es ihnen leidtut. Ich hatte das Gefühl, ich muss da allein durch. Ich vernachlässigte mein Studium und mein Sozialleben.
Was für mich am schlimmsten war, war die Frage, ob ich meinem Hund noch gerecht werden kann. Ich konnte oft nicht mit ihm spazieren gehen, wenn ich gerade ans Bett gefesselt war. Die Vorstellung, meinen Hund weggeben zu müssen, ist grauenhaft.
Meine Krankheit hat viel mit mir gemacht. Sie hat mir ein Stück weit meine Unbeschwertheit genommen. Früher hatte ich das Gefühl, dass ich behütet bin im Leben. Aber nachdem diese Symptome und diese Ungewissheit begonnen hatten, fiel mir auf, dass ich nicht unantastbar bin. Ich bin nur ein Mensch und mir können schlimme Dinge passieren. Das war ernüchternd und isolierend. Ich nahm an keinen sozialen Events teil, sah meine Freunde und Verwandten fast nicht mehr. Die jahrelange Angst, meinem Bauchgefühl nicht vertrauen zu können, zog meine mentale Gesundheit noch weiter runter. Im Allgemeinen stumpften mich die diese 9 Jahre sehr ab.​​​​​​​

Im Internet finden sich zahlreiche Beiträge zu Endometriose. Von Tests bis zu wissenschaftlichen Texten ist alles dabei. 

Hast du deine Krankheit oder deine Symptome gegoogelt?
Ja, ich bin in ein Google-Loch gefallen. Ich habe mich so fest auf meine Probleme fixiert, weil ich von meinem Arzt nichts erwarten konnte. Ich konnte nicht aus diesem Loch rauskommen, bevor eine Lösung vor mir lag. Ich habe das Gefühl, ich habe mehr meinen Symptomen recherchiert als zu meiner Bachelorarbeit. Aber das Googeln hat mich schlussendlich auf die Idee gebracht, dass ich Endometriose haben könnte. Ich bin deshalb sehr dankbar für Onlineenzyklopädien.
Wenn du jetzt auf diese 9 Jahre zurückblickst, würdest du etwas Anderes machen?
Was ich auf jeden Fall anders machen würde, ist, gesunde Grenzen zu setzten. Ich hatte immer den Anspruch an mich selbst perfekt funktionieren zu müssen. Ganz nach dem Motto: «Früher konntest du das ja auch.» Aber das war einfach nicht möglich. Bei einer chronischen Krankheit kann man sich nicht einfach eine Auszeit gönnen und danach ist alles wieder gut. Aber mein 15-Jähriges-Ich hätte diese Grenzen nicht setzten können. Ich habe so vieles mitgemacht, was völlig absurd war.
Wenn du anderen Endometriosepatient*innen einen Rat geben könntest, was wäre dieser?
Ich habe drei Ratschläge. Erstens: Verlass dich auf dein Bauchgefühl. Wenn du das Gefühl hast, du hast Endometriose, man sieht aber nichts auf dem Ultraschallbild, dann lass ein MRI machen. Nur weil dein Ultraschallbild nichts zeigt, heisst das nicht, dass du keine Endometriose hast. Zweitens: Entschuldige dich nicht deine Krankheit und die damit zusammenhängenden Einschränkungen. Es ist ok, die Spielverderberin zu sein. Und - ganz wichtig - drittens: Wechsle deinen Arzt, sobald du ein schlechtes Gefühl hast.
*die Betroffene will anonym bleiben​​​​​​​
Nachtrag 
Die Betroffene* konnte letzten Sommer erfolgreich operiert und die Endometriose konnte grossteils von den Organen entfernt werden. Heute geht es ihr viel besser.
Das Interview bequem im Layout hier

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