Interview Gemälde, Videoaufnahmen, Installationen - Werke mit abstrakten Gestalten und verzerrten Gesichter spiegeln An:ne Klepels Gedankenwelt wider. Im Gespräch erklärt die non-binäre Künstler*in, welchen Einfluss Kunst auf die mentale Gesundheit haben kann.

«Spirited away» war eines der ersten Werke von An:ne Klepel, die im Studium entstanden sind. Foto: An:ne Klepel

An:ne Klepel, seit nun schon fast 8 Jahren machst Du aktiv Kunst. Was willst Du mit deinen Werken darstellen?
An:ne Klepel: Meine Arbeiten drehen sich um das Thema Gender-Identity und um gewisse Struggles, die man als nicht-binäre Person hat. Ich bilde also eigentlich meine Gedanken und meine Gefühle ab. Einige meiner früheren Arbeiten handeln ganz offensichtlich vom Thema Gender-Identity. Doch seit meinem Studium will ich weg von dem. Ich will nicht das Offensichtliche darstellen, sondern etwas schaffen, bei dem Leute durch das Betrachten ins Gespräch kommen und einen «hmmm»-Moment haben. Es geht mir weniger um das «In your face».
Was sind das für «Struggles», die man als nicht binäre Person erlebt?
Es beginnt schon bei den Toiletten. Ich weiss, dass mich viele als Frau ansehen. Deshalb gehe ich auf die Damen-Toilette. Ich fühle mich dort aber nicht am richtigen Platz. Auf der Männer-Toilette aber auch nicht. Ein weiterer Konflikt ist, wenn ich mich einer anderen Person gegenüber erklären muss. Meine Bubble ist sehr tolerant und sie geben ihr bestes,  keine falschen Pronomen zu verwenden. Aber ausserhalb dieser Gruppe fehlt dieses Verständnis oder die Bereitschaft, sich auf mich einzulassen und meine Wünsche zu berücksichtigen. Ich stosse oft auf eine Wand und werde belächelt.
Kommen wir zurück zu deiner Kunst. Willst Du mit ihr die Menschen zum Nachdenken anregen?
Ja, auf jeden Fall! Ich will mit meiner Kunst schon zum Nachdenken anregen. Aber was ich vor allem will, ist eine Konversation starten.
Wenn Du an deinen Werken arbeitest, was geschieht in deiner Gefühlswelt und welche Gedanken hast Du dabei?
Ich würde gerne so etwas Klischeehaftes sagen wie: «Ich verliere jegliches Zeitgefühl und verliere mich in meiner eigenen Welt.» Aber so ist es nicht. Ich denke sehr viel nach, wenn ich arbeite. Über mich selbst, darüber, was ich gerade mache und wo ich gerade bin. Das kann anstrengend sein. Aber es gibt auch Momente, in denen ich in einem Work-Flow bin. Das ist ein cooles Gefühl. Du bist einfach am Machen und du siehst, dass da etwas entsteht. Aber das Nachdenken spielt sicherlich die grösste Rolle.
Beeinflusst dieses Nachdenken in irgendeiner Form deine mentale Gesundheit?
For sure! Während dem Nachdenken geschieht viel Selbstreflexion. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht am Arbeiten bin, bleiben meine Gedanken an einem Thema hängen. Man kann es sich wie ein Gedankenstrudel vorstellen. Dann beginnt das «Overthinken». Man ist gefangen in seinen Gedanken. Beim Arbeiten bin ich in einem Flow und ich merke, dass meine Gedanken einfacher fliessen und nicht an einem Ort rotieren. Das hilft schon sehr. Ich denke, es hat auf jeden Fall einen Einfluss auf meine mentale Gesundheit.
Gibt es ein Werk, bei dem Du überzeugt bist, dass es Dir mental geholfen hat?
Ich würde sagen, das ist eine Kombination aus mehreren Werken. Das Hauptwerk ist aber die Bilderreihe «Spirited away». Ich habe mich mit der Frage auseinandergesetzt: «Wie viel Einfluss habe ich darauf, was Femininität überhaupt ist?» Für mich ging es darum, mit einem Teil meines Lebens abzuschliessen. Es stellt etwas dar, was ich früher durchgemacht habe. Das hat mir sehr stark geholfen. Ich konnte meine Gedanken freien laufen lassen und diesen Teil meines Lebens reflektieren. Das war nicht nur leicht. Ich hatte Angst, war traurig und wütend zugleich. In diesem Prozess konnte ich diese Gefühle verarbeiten.
Ist Kunst die einzige Form, die Du nutzt, um deine Gedanken und Gefühle zu verarbeiten oder gehst Du auch zu einer Fachperson?
Nein, Kunst ist momentan mein einziger Ausgleich. Bisher habe ich mir noch nie Hilfe von einer Fachperson geholt. Ich denke jedoch darüber nach, dies in Zukunft zu tun. Bis jetzt habe ich das Gefühl, dass Kunst für meine Struggles ausreichend ist. 
Leider habe ich bei einigen aus meinem Umfeld beobachtet, dass Kunst nicht mehr ausgereicht hat. Künstler*innen geraten in einen Wahn und sind nur am Arbeiten. Sie schotten sich komplett von ihrer Aussenwelt ab. Sie sind gefangen in ihrem Gedankenstrudel. Diese Vorstellung macht mir Angst. Würde ich das bei mir beobachten, würde ich mir professionelle Hilfe suchen.
Denkst Du, Kunst ist ein gutes Ventil, um mit deiner mentalen Gefühlswelt umzugehen?
Bis zu einem gewissen Grad ist Kunst ein legitimes Mittel für meine inneren Konflikte. Kunst allein wird einen aber nicht retten können. Ab einem gewissen Punkt ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu holen. Für mich ist Kunst befreiend und hat noch nicht diesen negativen Charakter erreicht.
Was meinst Du damit, dass «Kunst alleine dich nicht retten kann»?
Kunst kann bis zu einem gewissen Grad ein guter Ausgleich sein. Aber sobald es ein ungesundes Mass erreicht ist, kann es gefährlich werden. Wenn man seine Werke und Arbeitsprozesse als einen «copeing mechanism» nutz, Menschen von sich stösst und sich selber verliert. Dann ist spätestens Zeit, sich Hilfe zu holen. Die Kunst ersetzt kein*e Psycholog*in.
Die letzte Frage bezieht sich wieder auf deine Kunst. Worauf legst Du momentan den Fokus?
Ich als Artist lege den Fokus momentan mehr auf die Konversation mit anderen während meines Prozesses. Sie kann anecken, verstören und Unsicherheiten aufrufen. Die Gespräche, die darauf entstehen, werfen oftmals ein neues Licht auf meine Werke. Konstruktive Kritik lasse ich anschliessend immer gerne in meinen Prozess einfliessen.
An:ne Klepel zVg.
Über die Person
Künstler*in An:ne Klepel ist 23 Jahre alt und in Basel-Stadt aufgewachsen. An:ne definiert sich nicht über eine binäre Geschlechtsidentität. Mit 15 Jahren begann Klepel diesen Prozess mit all seinen Höhen und Tiefen mit Kunst auszudrücken und zu verarbeiten. Als Pronomen verwendet An:ne entweder den Vornamen oder gar keine. Heute studiert An:ne an der Zürcher Hochschule der Künste Fine Arts. 
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